Heute vor 101 Jahren: Unabhängig für 13 Tage
Am 21. Oktober jährt sich zum 101. Mal die Besetzung des Aachener Rathaus durch rheinländische Unabhängigkeitskämpfer. Für beinahe zwei Wochen war die Kaiserstadt Zentrum eines erbitterten Kampfes zwischen Separatisten, Loyalisten, Aachener Bürgern und belgischen Besatzungstruppen.
Von Calvin Meyer
Am 21. Oktober 1923 spitzte sich in Aachen eine seit Wochen brodelnde Lage zu. Bewaffnete Männer drangen ins Rathaus ein, besetzten das Gebäude und versammelten sich unter der Führung des Fabrikanten Leo Deckers im Krönungssaal. Dort riefen sie die „Freie und unabhängige Republik Rheinland” aus.
Ja, richtig gelesen. Ein unabhängiges Rheinland – das war 1923 eine Forderung, für die viele Aachener zur Waffengewalt bereit waren. In Aachen eskalierte damit ein Chaos, das bald auch andere Städte der Region ergriff. 13 Tage lang herrschte Unruhe in der Stadt, ehe die Ordnung wiederhergestellt wurde. Heute erscheint uns das absurd. Um die Beweggründe der Separatisten zu verstehen, muss man den Hintergrund kennen.
Rheinland gegen Preußen
Bis 1815 war Aachen zuerst eine unabhängige Reichsstadt, dann ein Teil Frankreichs gewesen. Mit dem Wiener Kongress wurde die Kaiserstadt aber zusammen mit dem gesamten Rheinland Preußen zugesprochen. Viele Rheinländer waren von Beginn an gegen diese Annexion – diese Meinung war auch über 100 Jahre später noch weit verbreitet.
Preußen zeichnete sich durch eine besondere Staatskultur aus, geprägt vom Protestantismus, Junkertum und insbesondere einem extremen Militarismus. Daher konnte das Königreich im Laufe des 19. Jahrhunderts Deutschland durch militärische Übermacht vereinen. Innerhalb des Deutschen Staates hatte Preußen als größtes Land eine dominante Rolle.
Insbesondere in den katholischen Teilen Preußens und Deutschlands, so auch in Aachen, akzeptierte man die preußische Herrschaft nie. Die Konfession hatte damals für Katholiken einen genauso hohen, wenn nicht höheren Stellenwert, als die nationale Zugehörigkeit. Im protestantischen Preußen sahen sich die Katholiken stark benachteiligt.
Räumung am 2. November
Nach Ende des Ersten Weltkriegs bestand die Abneigung gegenüber Preußen fort, doch mit der Entmilitarisierung des Rheinlandes und der Besatzung durch ausländische Truppen, die ein starkes Preußen aus eigenen Gründen verhindern wollten, glaubte man, einen gewissen Handlungsspielraum gefunden zu haben.
So kam es zum Putschversuch und zur Besetzung des Aachener Rathauses und weiterer Gebäude der Stadtverwaltung. Nachdem mehrere Räumungsversuche der preußischen Behörden misslungen waren, beendete die belgische Besatzungsverwaltung den Putsch am 2. November. In anderen Teilen des Rheinlandes gab es ebenfalls separatistische Bemühungen, die teilweise bis zum Februar 1924 andauerten.
Bild: Stadt Aachen / Jörg Hempel