Hans aus Aachen: Der erste Mensch, der zweimal die Welt umsegelte
1519 startete in Spanien die erste Weltumsegelung. Angeführt von Ferdinand Magellan machten sich fünf Schiffe und 270 Seeleute auf den Weg nach Westen. Unter ihnen war auch ein Aachener, der in der Folge erlebte, was noch nie zuvor ein Mensch erlebt hatte.
Von Calvin Meyer
Anfang des 16. Jahrhunderts, das Zeitalter der Seefahrt. Europäische Großmächte, vor allem Spanien und Portugal, entsandten Schiffe in jede Ecke der Welt. 1519 startete der Magnum Opus dieser Bestrebungen: die erste Weltumseglung. Mit an Bord war ein deutscher Kanonier, der in den nächsten Jahren Geschichte schreiben würde. Die Spanier nannten ihn Juan de Aquisgrán – Hans aus Aachen.
Hans’ Laufbahn zum Entdecker
Wie Hans zum Seefahrer wurde, ist ungewiss. Geboren wurde er in Aachen, vermutlich um 1500. Seine Eltern hießen nach spanischen Überlieferungen Juan Pahulo und Sofia – zu Deutsch also wohl Hans Paul und Sophie. Über die Kindheit und Jugend von Hans ist nichts bekannt. Die Überlieferung seiner Geschichte beginnt mit der Heuerliste des Schiffs Victoria.
Ein Aachener auf dieser Expedition erscheint zunächst abwegig. Aachen liegt weit vom Meer – und noch weiter von Spanien. Unweit lag damals jedoch die Grenze zum Habsburgerreich, das zu dieser Zeit weite Teile Europas kontrollierte, etwa die heutigen Benelux-Staat und eben auch Spanien. Vermutlich siedelte Hans irgendwann dorthin über.
In den spanischen Dokumenten wird Hans mal als Juan, mal als Hanse und am häufigsten als Anes genannt, wahrscheinlich eine Kompromisslösung, die für die Spanier leichter auszusprechen war. Er wird als Kanonier aufgeführt. Vermutlich hatte der etwa 19-jährige Hans bis dahin in der Artillerie gedient. Ausgesucht wurde er, weil er Kanonen zu bedienen wusste. Erfahrung als Seefahrer hatte er vermutlich keine.
Die Magellan-Expedition
Die Weltumseglung war gar nicht das Ziel Magellans. Er sollte einen Weg nach Asien finden und dann denselben Weg zurückfahren, ohne portugiesisch kontrollierte Gewässer durchkreuzen zu müssen. Am 20. September 1519 machten sich fünf Schiffe auf den Weg nach Südwesten. Binnen weniger Tage wurde die Flotte von den Portugiesen verfolgt, konnte aber durch eine alternative Route entkommen. Hans musste die Kanonen nicht feuern. Auch der Versuch einer Meuterei wurde ohne Blutvergießen beendet.
Für die nächsten sechs Monate segelten die Schiffe entlang der Küste Südamerikas und suchten vergeblich nach einer Passage zum Pazifik. Im März entschied sich Magellan, zu überwintern. In dieser Zeit kam es zu einer Meuterei, an der Hans vermutlich selbst teilnahm – die Mannschaft der Victoria stand zeitweilig geschlossen hinter den Meuterern. Magellan konnte aber die Kontrolle zurückerlangen und ließ die Anführer der Rebellion exekutieren. Die Seeleute der unteren Ränge, einschließlich Hans, blieben ungestraft.
Ein Schiff ging kurz darauf verloren und seine Besatzung wurde auf die anderen vier aufgeteilt. Ein weiteres Schiff desertierte und fuhr eigenständig zurück nach Spanien. Der Rest der Flotte entdeckte im Oktober schließlich eine Passage und fuhr in den Pazifik. Die lange Fahrt forderte Todesopfer, doch Hans überlebte. Im März 1521 erreichte die Flotte die Marianeninseln und kurz darauf die heutigen Philippinen. Hans nahm an der ersten Osterfeier in der Geschichte dieses Landes teil.
Die Kontakte mit den Einheimischen verliefen weitgehend friedlich. Doch für die Spanier war auch die Missionierung wichtig. Als sich die Einwohner der Insel Mactan weigerten, zu konvertieren, griff Magellan an. Im folgenden Kampf wurden der Kommandant und seine Truppen getötet. Die nun führungslose und dezimierte Flotte entschied sich, ein weiteres Schiff zurückzulassen, weil nicht mehr genug Seeleute für die Fahrt mit drei Schiffen übrig blieben.
Die zwei verbliebenen Schiffe irrten für sechs Monate durch Südostasien, bevor der Herrscher der Insel Tidore sie mit Proviant für eine Rückfahrt versorgte. Die Victoria unter Kapitän Juan Sebastián Elcano entschied sich für die kürzere Route um Afrika herum. Ihr Schwesterschiff Trinidad blieb aufgrund von Sturmschäden im Hafen und wurde kurz darauf mitsamt Besatzung von den Portugiesen gefangen genommen.
Während der Fahrt rund um Afrika verhungerten 20 Seeleute. Als die Überlebenden am 9. Juli im portugiesischen Hafen Kap Verde Halt machten, waren sie verblüfft, dass es tatsächlich der 10. Juli war. Ohne es zu wissen, hatten sie während ihrer Reise die Datumsgrenze entdeckt und überquert. Den Portugiesen erzählten sie, sie wären aus Südamerika gekommen, doch als der örtliche Kommandant herausfand, dass es sich in Wirklichkeit um den Rest von Magellans Flotte handelte, mussten sie aus dem Hafen fliehen.
Am 6. September 1521, zwei Jahre nach Expeditionsbeginn, trafen Hans und seine Kameraden wieder im Hafen ein, von dem aus sie losgefahren waren. Von den 270 Männern waren nur noch 18 an Bord, in Begleitung von drei Molukken, die auf Tidore zugestiegen waren. Alle anderen waren entweder tot oder in portugiesischer Gefangenschaft. Hans, der einzige verbliebene Kanonier der Mannschaft, war damit unfreiwillig zu einem der ersten Weltumsegler der Geschichte geworden.
Die Loaísa-Expedition
Trotz dieser Erfahrung ließ Hans nicht von seiner Karriere als Seefahrer ab. Im Gegenteil: In der spanischen Armada war er im Rang aufgestiegen, als er zusammen mit Elcano und anderen Überlebenden der Expedition von García Lofre de Loaísa angeheuert wurde. Auf dieser Mission war Hans der Kommandant der Kanoniere und wird in Dokumenten “Maestre Anes” – Meister Hans – genannt.
Die Loaísa-Expedition sollte ebenfalls über die Pazifik-Route Südostasien erreichen. Ziel war es, vermeintlich wohlhabende Inseln zu entdecken und die verlorene Trinidad aufzuspüren. Dass das Schiff von den Portugiesen beschlagnahmt wurde und 1523 im Sturm untergegangen war, wussten die Spanier nicht. Auch nicht, dass die Mannschaft in Gefangenschaft war.
Am 24. Juli 1525 machten sich sieben Schiffe und 450 Mann auf den Weg nach Asien. Auf welchem dieser Schiffe Hans anfangs diente, ist unklar. Die Flotte segelte nach Südamerika und suchte vergeblich nach der Trinidad. Im Januar erreichten sie Patagonien und entschieden sich, nach Asien vorzurücken, statt auf ein Zeichen des verlorenen Schiffes zu warten.
Im stürmischen Wetter wurden zwei Schiffe versenkt, eines desertierte und drehte in Richtung Spanien um und die San Lesmes wurde wochenlang von der Flotte getrennt (und entdeckte in dieser Zeit Kap Horn). Erst im Mai konnte die wieder vereinte Flotte von nun noch vier Schiffen die Magellan-Passage durchfahren. Doch im Pazifik wurde die Flotte erneut von einem Sturm getroffen und auseinandergetrieben.
Ein Schiff verschwand ohne jede Spur, eines segelte nach Mexiko, ein weiteres strandete im heutigen Indonesien. Hans befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der Santa Maria de la Victoria (trotz des ähnlichen Namens nicht dasselbe Schiff, auf dem Hans vier Jahre zuvor diente), welches als einziges Schiff die Molukken erreichte. Doch damit war die Mission nicht beendet.
Die Mannschaft versuchte, eine Guerrilla-Kampagne gegen die Portugiesen mit lokaler Unterstützung in Tidore aufzubauen. Die kleine Truppe, einschließlich Hans, kämpfte acht Jahre lang eigenständig gegen Portugal – nicht ahnend, dass Spanien im Vertrag von Saragossa Portugal die Kontrolle über die Molukken zugestanden hatte. Die einzige Unterstützung kam von ihren früheren Kameraden: Die Mannschaft, die nach Mexiko gefahren war, startete von dort aus 1527 in Richtung Molukken, sammelte unterwegs die vier verbliebenen Überlebenden des gestrandeten dritten Schiffes ein und stieß schließlich nach Tidore vor.
Als die Überlebenden vom Vertrag von Saragossa erfuhren, entschieden sie sich zur Kapitulation. 24 Männer wurden von den Portugiesen gefangen genommen. Ihnen wurde die Rückkehr nach Spanien gestattet. Hans war der einzige unter ihnen, der bereits mit Elcano zusammen die Welt umsegelt hatte. Mit seiner Ankunft in Spanien 1536 war er deshalb der erste Mensch, dem zweimal die Umrundung der Welt gelungen war – ohne dies auch nur einmal beabsichtigt zu haben.
Die Villalobos-Expedition
Ob es Not, Pflichtbewusstsein oder Abenteuerlust war: Hans ließ sich nicht von der See fernhalten. Beinahe wäre er gar der erste dreifache Weltumsegler geworden. 1542 befand sich Hans in Mexiko, als Roy López de Villalobos eine Expedition in Richtung Philippinen startete, die auch nach dem Vertrag von Saragossa spanisch geblieben waren. Als Veteran mit über 20 Jahren Erfahrung wurde „Meister Hans“ als Chef der Kanoniere angeheuert.
Sechs Schiffe und 400 Seeleute, darunter Hans als einer der höchstrangigen, starteten am 1. November 1542 in Barra de Navidad an der mexikanischen Pazifikküste. Unterwegs entdeckten sie möglicherweise als erste Europäer Hawaii. Im Frühjahr 1543 kam die spanische Flotte in Asien an. Von Stürmen und Hunger geplagt, hatten sie jedoch keinen Erfolg, die Philippinen unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die portugiesischen Kommandanten vor Ort verwehrten den Spaniern, in portugiesischen Häfen Nahrung aufzuladen und machten Druck auf die Einheimischen, es ihnen gleich zu tun. Als die Mannschaft auf der Insel Balut auf Nahrungssuche von Einheimischen angegriffen wurde, bediente Hans persönlich ein Geschütz, um den Feind zurückzuschlagen. Damit rettete er vielen seiner Kameraden das Leben, wie ein Bericht eines anderen Seefahrers beschreibt.
Das Ende der Geschichte von Hans aus Aachen
Ironischerweise war dieser Vorfall das erste erwiesene Mal in 24 Jahren seiner Karriere als Kanonier, dass Hans tatsächlich eine Kanone im Kampf abfeuerte (dass es tatsächlich das erste Mal war, ist aber mit Blick auf die Kämpfe in den Molukken sehr unwahrscheinlich). Gleichzeitig endet hier die Geschichte von Hans, denn was danach aus ihm wurde, ist ungewiss. Er überlebte diese Aktion laut dem oben genannten Bericht und half der Mannschaft später auf ähnliche Weise erneut, aber taucht anschließend in keinem Bericht mehr auf.
Ohne Unterstützung aus Mexiko oder vor Ort fuhr die spanische Flotte 1545 nach Tidore und wurde von den Portugiesen gefangen genommen. 117 Männer überlebten, aber Hans war nicht unter ihnen. Vermutlich starb er zwischen 1543 und 1545 in den Philippinen. Tidore erreichte er kein drittes Mal, während der größte Teil der Überlebenden von dort aus nach Europa zurückfuhr. Wäre Hans an Bord gewesen, wäre es seine dritte Weltumseglung gewesen.
Was Hans, geboren in einfachen Verhältnissen in Aachen, erlebte, muss den meisten seiner Zeitgenossen undenkbar gewesen sein. Ein durchschnittlicher Deutscher im 16. Jahrhundert verbrachte oft sein ganzes Leben in seinem Heimatort. Als Hans mit etwa Mitte 40 starb, hatte er dagegen zweieinhalb Mal die Welt umrundet – etwas, das selbst heute die große Mehrheit aller Menschen nicht erlebt.
Die Geschichte von Hans aus Aachen hat Autor Raoul Schrott in seinem 2019 erschienenen Roman „Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal” verarbeitet. Erschienen im dtv Verlag.
Titelbild: Magellans Schiff Victoria, Detail auf einer Weltkarte des Ortelius – Archiv (Quelle: Wikimedia)