Och Therm!

Published On: 16. September 2024

Die vielfach seltsame Wasserstadt Aachen macht einen Sprung in die historische Moderne: Ab Oktober gibt es Pop-up-Thermalbaden open air im Kurpark Burtscheid, umsonst und für alle, dank zivilgesellschaftlicher Initiative der Bürgerstiftung.

Von Bernd Müllender

Treffen sich zwei Wassertropfen. Sagt der eine … Nein, das wird jetzt kein Witz. Der Dialog war Teil des Zwei-Personen-Stücks „WasserSpiele“ mit Annette Schmidt und Simone Schmitt vom Aachener TheaterK, gespielt im Tiefkeller des alten Stadtbades am Blücherplatz, inmitten alter Armaturen, Leitungen, Stahlgestänge, gusseiserner Wannen.

Was so ein Wassertropfen im langen Leben auf Erden alles erleben kann: einschwimmend Dasein in einem Fluß, in Nebelschwaden, in Blutadern oder im Darm eines Menschen, im Klärbecken, im Bier, als Teil eines Lifestyle-Getränks oder live als Zeitzeuge beim Wegschmelzen im vermeintlich ewigen Eis eines Gletschers.

Wie vielfältig Wasser ist. Und wie vielfältig seltsam, widersprüchlich, teils grotesk man Wasser in Aachen erlebt. Da ist die große Historie beim Thermalwasser. Kaum wo sonst gibt es so viele Quellen, zudem mit bis zu 72 Grad die heißesten nördlich der Alpen. Schon die Römer plantschten hier ausgiebig, die Münstertherme in der heutigen City war damals zu einer Badelandschaft von der Größe eines Fußballplatzes gewachsen. Am heutigen Hof gleich beim Domkeller gab es steinerne Sitzwannen, für den mäßig gelenkigen Römersmann sogar mit Einstiegshilfen.

Später wählte Karl der Große Aachen wegen der Quellen zu seinem Lebensmittelpunkt. Die Heilwässer sollten Linderung mannigfacher kaiserlicher Leiden wie Gicht und Rheuma bringen. Kurzum: Ohne Thermalwasser gäbe es Aachen gar nicht.

Innenansicht des Kaiserbades 1862 (Scan einer Reproduktion eines Kupferstiches, Quelle: WikiMedia)

 

Die „heylsamen Badt- und Trinkgewässer zu Aach“

Vieles der H2O-Historie lässt sich noch bis zum 19. September in einer kleinen feinen Ausstellung im ehemaligen Stadtbad Nähe Blücherplatz erkunden, etwa über Kaiserquelle, Nikolausquelle, Quirinusquelle oder den sprudelnden „Große Monarch“ zwischen Büchel-Wiese und ehemaligem Lust for Life. Nach dem Stadtbrand 1656, ist zu lesen, bauten Menschen um den französischen Baumeister Francois Blondel alles wieder auf um die „heylsamen Badt- und Trinkgewässer zu Aach“.

Noch vor gut hundert Jahren war die Komphausbadstraße eine Flaniermeile der badefreudigen oberen Zehntausend. Im Stadtbad selbst reinigten sich bis weit in die Nachkriegszeit diejenigen BürgerInnen in Sitzbädern und Wannen, die daheim sanitär schlecht bestückt waren.

Die Quellen sprudeln heute unermüdlich weiter, doch Abermilliarden mineralienpralle Wassertropfen versickern ungenutzt. Heute gibt es nur noch die Thermen oben an der Passstraße, dafür muss das unterirdische Wasser aus der City stetig hochgepumpt werden.

Aachen ist, natürlich, stolz auf seine Bäderhistorie, davon zeugen die Tafeln der Heilwasser-Prominenten im Elisenbrunnen. Zugleich sind alle Bächlein wegkanalisiert worden in den Untergrund (heute werden sie stückweise wieder nach oben geführt, etwa am Lindenplatz). Natürliche Seen? Fehlanzeige. AachenerInnen klagen gern, ihre Stadt sei ein Regenloch, was die Daten allerdings nicht hergeben. Aachen könnte sich offiziell Bad Aachen nennen, verzichtet aber darauf. Die Nummer 1 im Alphabet zu sein ist wichtiger.

Burtscheid kriegt eine „warme Schüssel”

Aber jetzt ändert sich etwas: Im Burtscheider Kurgarten wird das Thermalwasser wieder alltagserlebbar gemacht. Ab 5. Oktober gibt es täglich von 10 bis 22 Uhr ein temporäres, öffentlich zugängliches Thermalbad direkt neben der Rosenquelle, den „Pop-Up Thermalwasserbrunnen“, mit drei Becken. Sein Name: „WärmKomp“. Übersetzt aus dem Öcherischen heißt das Warme Schüssel.

Entstanden ist der gesunde Badespaß unter Federführung der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen. Projektplanung: fast zwei Jahre. Die Stadt musste überzeugt werden, Abteilung für Abteilung, Amt für Amt, Stadtplaner, Denkmalschutzbehörde. Vor allem das Gesundheitsamt: Ist das auch verkehrssicher, hygienisch unbedenklich? Architektur-Studierende der Fachhochschule haben Modelle der Badelandschaft entwickelt (inklusive einklappbarer Umkleidekabine) und schließlich hinter dem Springbrunnen des Kurparks aufgebaut, ein Terrain für Fußbäder, zwei zum Ganzkörperabtauchen. Es gilt: „A hot pool is cool“.

Vergangenen Samstag war ein dreistündiges Test-Opening des Fußbades. Nichts wie rein mit den Beinen: Angenehme 33 Grad, das Wasser leicht salzig, minimal schwefelig. Ein halbes Dutzend Leute hat wärmenden Spaß in kühler Luft, mal zufällige Passanten, dann ein neugieriges Burtscheider Ehepaar, eine vierköpfige indische Familie. Einer scherzt: „Eine halbe Stunde und du fühlst dich Jahre jünger.“ Die Inder, als Hindus vorgeprägt mit religiösen Waschungen, wollten gar nicht mehr raus. Der Mitarbeiter der Burtscheider Stadtteilinitiative sagt: Mehr als 30 Minuten sollten es nicht sein.

Vorbild ist Baden in der Schweiz, eine Stadt mit treffendem Namen. Dort gibt es solch öffentliche Thermalbäder seit Jahren, mit riesigem Zuspruch. Uli Lieser, der Aachener Initiator, ist Hydrogeologe und Thermalhistoriker. Er erzählt vom langen Hürdenlauf („eine Riesenaufgabe“) und fürchtet jetzt, dass man ab der offiziellen Eröffnung der Nachfrage Badewilliger kaum noch Herr wird. „Das wird voll.“ Der Öcher könnte ihm antworten: „Och Therm!“

„WasserSpiele“, dieses schrill-schräge Stück, ist noch einmal am Donnerstag 19. September, 19 Uhr, im Stadtbad zu sehen (Tickets). Im Burtscheider WärmKomp werden am Samstag, 9. November, von 10 bis 22 Uhr diverse Chöre auftreten, darunter das Männer-Vokalensemble „Bin Singen“, in dem auch Initiator Lieser mitwirkt. Motto: „Lieder aus der Bütt – Aachener Chöre gehen baden“.

Chorkonzerte aus dem Heilwasser, das dürfte selbst Kaiser Karl nicht gekannt haben. Als Wassertropfen erlebt man auf Erden halt immer etwas Neues.