Wahlrecht in NRW: Kleinparteien sehen sich benachteiligt
CDU, Grüne und SPD haben eine Änderung des Kommunalwahlgesetzes in NRW beschlossen. Ein neues Verfahren soll zur Berechnung der Sitzverteilung eingesetzt werden – kleine Parteien könnten dadurch Sitze verlieren. FDP und Volt klagen vor dem Landesverfassungsgericht.
Von Alexander Plitsch
Wer das Wahlrecht anpassen kann, hat viel Macht über die Grundlagen einer Demokratie. Es lassen sich zahlreiche Beispiele finden, die zeigen, wie groß die Versuchung ist, diese Macht zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Aus den USA kennt man etwa das „Gerrymandering” – also das bewusste Zuschneiden von Wahlkreisen, um Wahlerfolge der eigenen Partei zu begünstigen. Auch die Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen musste sich unlängst viel Kritik gefallen lassen: Das Bundesverfassungsgericht kassierte Teile einer jüngst beschlossenen Wahlrechtsreform.
In NRW stehen 2025 neben der Bundestagswahl auch Kommunalwahlen an. Und in deren Vorfeld wird nun ebenfalls heftig über eine Änderung des Wahlrechts gestritten. Gemeinsam haben CDU, Grüne und SPD im Landtag beschlossen, die Methode zu ändern, mit der die Wahlergebnisse der Parteien in Sitze in den kommunalen Gremien umgerechnet werden.
Zum Hintergrund: Bei der Sitzverteilung kommt es notwendigerweise zu Rundungen. Abhängig von der Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen ist eine bestimmte Stimmenzahl nötig, um einen Sitz zu erhalten. Aber natürlich ist die Zahl der Stimmen, die eine Partei erhalten hat, äußerst selten genau durch diese Zahl, die für einen Sitz benötigt wird, teilbar.
Deshalb haben sich verschiedene Verfahren etabliert, mit denen zunächst die „vollen Sitze” verteilt und anschließend die „restlichen Sitze” vergeben werden. Beim bisher in NRW genutzten „Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë” passiert es häufig, dass die Ergebnisse kleiner Parteien aufgerundet werden. So erhalten sie einen Sitz, obwohl die Zahl ihrer Stimmen unter der eigentlich für einen Sitz nötigen Zahl liegt.
Der grüne Landtagsabgeordnete Simon Rock hat ein alternatives Verfahren erarbeitet – er nennt es „Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich”. Damit soll eine „zu große Verzerrung zu Gunsten von Kleinstparteien vermieden“ werden, während zugleich „systematische Verzerrungen des Wahlergebnisses zu Gunsten großer Parteien nicht auftreten können“. Gemeinsam mit der SPD hat die schwarz-grüne Mehrheit im Landtag dieses neue Verfahren im Juli als Gesetz verabschiedet.
Keine Verzerrung zu Gunsten großer Parteien? Das sieht die FDP in NRW ganz anders und rechnet vor: Wäre das neue Verfahren bei der Kommunalwahl 2020 bereits eingesetzt worden, hätte die CDU landesweit 184 Sitze mehr erreicht. Auch SPD (plus 84 Sitze) und Grüne (plus 51 Sitze) hätten profitiert. FDP (minus 95), Linke (minus 64), AfD (minus 29) und die Kleinparteien und Wählergemeinschaften (minus 131) hätten hingegen Sitze verloren.
FDP spricht von einem „politischen Machtkartell”
Und in Aachen? Wir haben nachgerechnet und kommen zu einem ähnlichen Bild hier vor Ort:
Wäre das neue Verfahren 2020 zum Einsatz gekommen, hätte die CDU im Aachener Stadtrat einen Sitz mehr erhalten, die Piraten hätten ihren einzigen Sitz verloren.
In der Bezirksvertretung Mitte hätten Grüne und SPD jeweils einen Sitz mehr gewonnen – auf Kosten der Sitze von AfD und Die Partei.
Im Städteregionstag hätten SPD und AfD jeweils einen Sitz mehr gewonnen, UFW und Piraten hätten keinen Sitz erhalten.
Waren CDU, Grüne und SPD also bei der Reform in erster Linie auf ihren eigenen Vorteil bedacht? Für die FDP ist die Sache eindeutig: „Es droht ein politisches Machtkartell in NRW”, sagte Henning Höne, Fraktionschef der Liberalen im Düsseldorfer Landtag, und kündigte eine Klage vor dem Landesverfassungsgericht an.
Ende August reichte auch die junge Partei Volt eine solche Klage ein. Zur Begründung sagte Markus Blümke, Vorsitzender von Volt NRW: „Gerade in den Städten und Kreisen möchten viele Menschen andere Akzente setzen. Die Wahlen zum Europaparlament haben zudem gezeigt, dass vor allem junge Menschen großes Interesse an neuen, kleinen Parteien haben. Die Chancen, Mandate zu erringen, dürfen nicht durch machtpolitische Entscheidungen der Regierung beschnitten werden.“
Und auch die Piratenpartei in NRW denkt über eine Klage nach. „2017 haben wir Piraten bereits gegen eine erneute Sperrklausel bei Kommunalwahlen in NRW geklagt. Das Verfassungsgericht NRW hat uns Recht gegeben. Nun versucht man es quasi durch die Hintertür”, kommentierte die Landesvorsitzende der Piraten, Andrea Deckelmann.
Die Regierungsfraktionen in NRW betonen derweil, dass sie sich mit ihrer Neuregelung im verfassungsrechtlich gegebenen Spielraum des Gesetzgebers bewegen. Ein Gutachten allerdings, das CDU und Grüne selbst in Auftrag gegeben haben, kommt zu dem Ergebnis, dass das neue Verfahren dem bisherigen unterlegen ist beim Versuch, den Wählerwillen möglichst gut abzubilden. Dieses Gutachten haben die Regierungsfraktionen jedoch erst nach der Verabschiedung des Gesetzes und auf öffentlichen Druck hin veröffentlicht.
„Artenvielfalt ist in diesem Fall nicht gern gesehen”
Gerade in einer Hochschulstadt wie Aachen mit vielen jungen Wählern haben kleine Parteien immer wieder gute Wahlergebnisse geholt. Bei der Wahl zum Stadtrat haben Die Partei, die Piraten, Volt und die UWG Sitze errungen. Auch andere Kleinparteien hoffen, die Hürde für einen Sitz nehmen zu können. Für sie alle dürfte es schwieriger werden, wenn die Neuregelung vor dem Verfassungsgericht besteht.
Olaf Jacobs von Die Partei Aachen hat uns seine Sicht auf die Dinge als Stellungnahme geschickt:
„Wenn das Stimmvieh nicht so wählt, wie es sinnvoll erscheint, muss man mal das Wahlrecht ändern, dachten sich wohl die Grünen und die CDU im Landtag. Flugs zwei Gutachten in Auftrag gegeben. Eines sagt, dass rechtlich alles in Ordnung ist, wenn es noch gerechter wird. Das andere sagt, dass es mathematisch ungerechter wird. Das zweite veröffentlicht man dann lieber doch nicht.
Viele Jahre beschäftigen sich Parteien in Sonntagsreden damit, wie man Politikverdrossenheit entgegenwirken kann und das „Die-da-oben-machen-was-sie-wollen“-Gefühl entkräftet. Und dann machen „Die-da-oben“ was sie wollen, ausgerechnet beim Wahlrecht.
Kleine Parteien und Initiativen in Gemeinde- oder Stadträten sind natürlich auch lästig. Vereinzelt haben sie sogar eigene Ansichten, wo der Blumenkübel jetzt genau aufgestellt werden soll und ziehen Debatten unnötig in die Länge. Artenvielfalt ist in diesem Fall nicht gern gesehen.
Demokratie kann anstrengend sein, da möchten sich die Grünen und die CDU etwas Erleichterung verschaffen.“