Podiumsdiskussion Europawahl Aachen

Wahlarena der IHK: Die AfD darf mitdiskutieren

31. Mai 2024

Bei einer Podiumsdiskussion der IHK zur Europawahl treffen kommende Woche Kandidat*innen in Aachen aufeinander – mit dabei ist eine rechtsradikale Politikerin der AfD. Wir berichten über Hintergründe und Einschätzungen.

Von Alexander Plitsch

Die IHK Aachen lädt am Mittwoch, 5. Juni, in die „Wahlarena“ ein, zu einem letzten großen Aufeinandertreffen von Kandidat*innen vor der Europawahl hier in der Region. Das Podium ist prominent besetzt: Mit Sabine Verheyen (CDU) und Daniel Freund (Grüne) nehmen zwei aktuelle EU-Abgeordnete teil, daneben Thomas Geisel, ehemaliger Oberbürgermeister von Düsseldorf und Kandidat für das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht, sowie die Kandidaten Martin Peters (SPD) und Pino Marinotti (FDP).

Komplettiert wird die Runde von Irmhild Boßdorf – und diese Besetzung ist brisant: Boßdorf kandidiert auf Listenplatz 9 für die AfD und hat damit durchaus Chancen auf den Einzug ins EU-Parlament. Sie unterhält enge Kontakte zu rechtsextremen Gruppen, etwa der Revolte Rheinland, der Identitären Bewegung und der rechtsradikalen belgischen Partei Vlaams Belang.

Für „millionenfache Remigration” sprach sich Irmhild Boßdorf in ihrer Rede auf dem Nominierungsparteitag der AfD aus: „Was wir brauchen, das sind Pushbacks – egal was der Europäische Gerichtshof dazu sagt.” Fürchten müsse man sich nicht vor dem menschengemachten Klimawandel, sondern vielmehr vor einem „menschengemachten Bevölkerungswandel”, der Europa in eine „Siedlungsregion für Millionen Afrikaner und Araber” verwandle.

Eine Rechtsradikale wie Irmhild Boßdorf auf einer Podiumsdiskussion in Aachen – muss das sein? Ja, sagt Gunter Schaible von der IHK, denn als Kammer sei man der parteipolitischen Neutralität verpflichtet. Man habe die AfD im ersten Schritt zwar nicht aktiv eingeladen zur Wahlarena – die Partei habe sich aber selbst ins Spiel gebracht. „Wir haben das in unseren Gremien kontrovers diskutiert”, sagt Gunter Schaible. „Aber: Die AfD ist zur Wahl zugelassen, Irmhild Boßdorf ist wählbar – deshalb können wir sie auch nicht ausschließen.”

Was sagen die anderen Kandidat*innen?

In mindestens zwei weiteren Städten gab es zuletzt ähnliche Fälle. Mitte Mai sagte die IHK eine Podiumsdiskussion in Lüneburg ab, nachdem Kandidat*innen von SPD, Grünen und Linken erklärt hatten, nicht mit AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah diskutieren zu wollen. In Köln wiederum hatten mehrere Parteien, darunter auch SPD, CDU, FDP und Grüne, eine Vereinbarung geschlossen, nicht an Veranstaltungen mit der AfD teilzunehmen. Auch hier lud die IHK zur Podiumsdiskussion ein: SPD und Grüne sagten aufgrund der AfD-Teilnahme ab, CDU und FDP hingegen nahmen teil.

Und die anderen Teilnehmer*innen der geplanten Wahlarena in Aachen? Wir haben alle nach ihrer Einschätzung gefragt und diese Stellungnahmen erhalten:

Daniel Freund (Grüne):

„Ich habe von der Teilnahme von Frau Boßdorf erst erfahren, nachdem ich meine Teilnahme am IHK-Podium zugesagt hatte. Frau Boßdorf ist eine rechtsradikale Politikerin. Ich wünsche mir Diskussionen mit Politiker*innen, die auf den Füßen von Grundgesetz und Europäischen Werten stehen. Das ist bei ihr ganz offensichtlich nicht der Fall. Ob man an Podien mit der AfD teilnimmt, ist eine schwierige Abwägungsfrage, auf die es verschiedene Antworten gibt. Die AfD macht mit Lügen, Hass und plumpen Thesen die Debatte kaputt. Dennoch habe ich für mich in diesem Fall entschieden: Ich überlasse der AfD nicht unwidersprochen eine Bühne in meiner Heimatstadt.”

Sabine Verheyen (CDU):

„Die IHK Wahlarena bietet die Gelegenheit, mit Unternehmen aus unserer Region über die Zukunft der Europäischen Union ins Gespräch zu kommen. Ein Boykott der Veranstaltung würde schlicht nur dazu führen, dass die AfD das Podium für sich alleine hätte. Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass ein Ignorieren der AfD nicht zum gewünschten Erfolg führt, ganz im Gegenteil. Deshalb müssen wir als Demokraten zusammenstehen und die AfD auch auf Veranstaltungen gemeinsam demaskieren und Forderungen, wie den systematischen Rückbau der Europäischen Union, einordnen und klar machen, welchen massiven Schaden dies unserem Mittelstand und der Industrie zufügen würde.”

Martin Peters (SPD):

„Ich freue mich über jede Institution (Schule, Kammer etc.), die die Courage hat, die AfD als verfassungsfeindliche Organisation nicht einzuladen. Leider ist zu beobachten, dass die AfD bspw. Schulen, die sie nicht zu Veranstaltungen wie Podiumsdiskussionen einladen, bei der Schulaufsichtsbehörde denunziert, was Rügen seitens der Schulaufsicht zur Folge hatte. Für mich sind die Wahlsprüche ,No Pasaran!‘ und ,Kein Fußbreit den Faschisten’ Maximen meines politischen Handelns. Insofern werde ich – da eine Teilnahme der AfD an der Veranstaltung unvermeidbar ist – an der Veranstaltung teilnehmen. Sicherlich wird dies zu einer hitzigen Auseinandersetzung führen, der ich gelassen entgegensehe. Der AfD allein diese Veranstaltung zu überlassen, würde bedeuten, ihnen ohne antifaschistisches Korrektiv eine Bühne zu überlassen.”

Thomas Geisel (BSW):

„Die AfD ist eine Partei, die nicht verboten ist, die bereits im Europaparlament vertreten ist, die erneut zur Europawahl antritt und die ausweislich aktueller Umfragen Aussichten hat, erneut Mandate zu erringen. Aus diesem Grunde halte ich es für angemessen, auch die AfD zu derartigen Podiumsdiskussionen einzuladen. Es muss darauf ankommen, die AfD politisch zu stellen und zu bekämpfen. Das geht nicht, wenn man sich Diskussionen mit ihr von vornherein entzieht. Ich werde an der Veranstaltung teilnehmen und deutlich Stellung nehmen, wenn seitens der AfD-Vertreterin rechtsradikale, menschenverachtende und asoziale Positionen vertreten werden.”

 

Zum Weiterlesen:

In der Diskussion stellen – oder von der Diskussion ausschließen? Ein Kommentar zur schwierigen Abwägung im Umgang mit der AfD